Die Spanier waren nicht immer nett zu den indigenen Mexikanern. Die Ausbeutung von Edelmetallen und Holz, Unterdrückung, Versklavung, Einschleppen von Krankheiten – alles war dabei. Und dann ergänzten sie auch noch einfach den Ortsnamen Chamula mit „San Juan“, abgeleitet von Johannes dem Täufer. Weil sie es konnten.

Die Chamulas sind eine stark auf Ihre Unabhängigkeit bedachte indigene Gruppe der Tzotzil, sogar die mexikanische Justiz bleibt hier komplett außen vor. Rund 10 km nördlich der Stadt San Cristobal gelegen ist insbesondere der Sonntag, der Markt- und Kirchentag, einen Besuch wert, um sich einen Eindruck von den kulturellen Besonderheiten der ortsansässigen indigenen Bevölkerung zu verschaffen.

Wir „arbeiten“ uns, nachdem uns ein Taxi am Markteingang absetzt, durch die drängelnde Menschengruppe Stück für Stück in Richtung Zentrum, dominiert vom Templo de San Juan, der alles prägenden Kirche der Kleinstadt. Das Fotografieren in den Straßen wird überwiegend toleriert, hie und da erfahren wir eine Ablehnung am Marktstand, nur gelegentlich wird uns ein schüchternes Lächeln geschenkt. Mit meinen 187 cm Größe überrage ich die eher kleinwüchsigen Tzotzil um Längen – ein diskretes Wegducken als mehr oder weniger einzige ausländische Touristen ist schlichtweg unmöglich.

Von Beginn an sind wir beeindruckt von der tiefen kulturellen Bindung der Menschen zu ihren Traditionen, die sich im Tragen der traditionellen Kleidung widerspiegelt. Während die Männer häufig Tuniken aus weißer Schafwolle tragen, kombinieren die Frauen bunte Blusen zu schwarzen Wollröcken. Es wird Folklore für sich gelebt. Mariachi-Musik erschallt auf dem Kirchenvorplatz, weshalb, das erfahren wir in Kürze.

Das Fotografieren in der Kirche ist streng verboten, und so halten wir uns selbstverständlich daran – hätte ich es gewagt, dann wäre ich wahrscheinlich mit den Füßen voran aus der Kirche gezogen worden, im Gefängnis gelandet und mit einer hohen Geldstrafe bedacht. Wir betreten die dämmrige Kirche – und sind schlichtweg geflasht von der Atmosphäre, die uns hier entgegenströmt. An den Decken verlaufen breite, diagonal verlaufende Tücher, welche die Länge des Kirchenhauptschiffs optisch aufteilen. Kirchenbänke gibt es nicht, alle Gläubigen stehen oder sitzen auf dem mit Kiefernnadeln bedeckten Boden. Gelegentlich werden die Kiefernnadeln zur Seite geschoben, um hunderten von brennenden Kerzen Platz zu bieten, und so leuchtet die Kirche weihrauchgeschwängert und kerzengetrübt. Es geht erstaunlich leise zu, und wir wundern uns über die zahlreichen kohlensäurehaltigen Getränke, deren Flaschen umherstehen. Rülpsen soll böse Geister vertreiben, und so wird das Entweichen der Luft aus dem Magen künstlich provoziert. Im Minutentakt ändert sich die Dynamik innerhalb der Besuchergruppen, und während am Altar am Ende des Kirchenschiffs eine Trauerzeremonie abgehalten wird, scharen sich zeitgleich zahlreiche Menschen rund um das Taufbecken nahe des Eingangs. Neues und vergangenes Leben wird zelebriert – so nah beieinander.

Zurück auf dem Kirchenvorplatz strömen die nächsten Gläubigen, mit Blumengestecken und von Mariachi-Musik begleitet, in Richtung Kirche. Die Kreuze auf den Schultern von Männern zeigen uns auf, das die nächste Trauergemeinde in Richtung Kirche zieht. Die fröhliche Musik passt aus europäischer Sicht so gar nicht zum Anlass. Gläser mit einer klaren Flüssigkeit werden immer wieder von den umherstehenden Männern und Frauen gefüllt und untereinander verteilt – wir sind uns nicht sicher ob es sich hier schlichtweg um Wasser handelt, morgens um 09.30 Uhr. Eher wohl Posh-Schnaps, und Feuerwerksraketen begleiten die Verstorbenen auf ihrem letzten Weg.

Ein Vormittag in Chamula gewährt uns als Besucher für ein paar Stunden nur kleine Einblicke in das so komplett anders stattfindende Leben der Tzotzil. Eindrücke, die wir in den kommenden Stunden, ja Tagen erst einmal für uns verarbeiten und verdauen wollen. Wir wollen es definitiv nicht missen, gehört dieser Besuch zu den eindringlichsten Erlebnissen der letzten Monate hier in Mexiko.

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